Dr. Petro Werhun
Petro Werhun wurde am 18. November 1890 in Grodek (heute: Horodok) bei Lemberg ( heute L`viv damals Österreich-Ungarn zugehörig, als Erstgeborener einer Schreiner - Familie geboren.
Während seiner Gymnasialzeit begann der 1. Weltkrieg. P. W. schloss sich denen an, die für die ukrainische Unabhängigkeit kämpften. Schließlich musste er fliehen und kam 1920 nach Prag, wo er an der Ukrainischen Freien Universität Prag osteuropäische Kirchengeschichte, Ukrainistik, Kunstgeschichte und Theologie studierte. 1927 promovierte er zum Dr. der Philosophie. Im selben Jahr empfing er die Priesterweihe durch den Metropoliten Dr. Andrej Graf Scheptizkij.
Priester in Berlin
Kurze Zeit später wurde er zum zuständigen Seelsorger der griechisch - katholischen Christen byzantinischen Ritus im Deutschen Reich in Berlin bestellt. Diese Arbeit stellte eine große Herausforderung dar. Barg sie doch sehr hohe Hürden.Bei den dort ansässigen Katholiken und anderen Bürgern handelte es sich um sehr viele verschiedenartige Gruppen aus unterschiedlichen Ländern, politischer Ausrichtung und kultureller Prägung, Wissenschaftler und Intellektuelle, Arbeiter, Leute, die legal in Berlin wohnten und andere, die hier untergetaucht waren. Gründe dafür waren z. B. die Flucht vor der russischen Revolution, woanders politisch ungewollt zu sein, Arbeitssuchende z. B. in den Industriegebieten, Saisonarbeiter, aber auch bereits lang ansässige und sehr gut etablierte Ukrainer. So gab es ständig die unterschiedlichsten Spannungen auch konfessionell. Da P. W. von seiner ukrainischen Heimat her zwischen Angehörigen unterschiedlicher Völker: Polen und Ukrainern und zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen: orthodox und katholisch aufgewachsen war, brachte er wohl gerade für diese Arbeit geeignete Voraussetzungen mit und war nun auch dafür bestimmt.
P. W. war nun nicht mehr der Patriot, der mit der Waffe in der Hand für die Freiheit der Heimat kämpfte. Von nun an ging es ihm darum, die Zerrissenheit seiner Landsleute zu heilen und zur Verständigung beizutragen.
Mittelpunkt des gottesdienstlichen Lebens war vor allem die Kirche der Karmelitinnen im Bezirk Prenzlauer Berg. So erreichte P. W. die ukrainische Intelligenz über die Gründung eines Kirchenchores. Die Existenz dieses Kirchenchores überbrückte konfessionelle Gegensätze und half zur auch zur Verständigung.
Bei der Arbeiterschaft sah P. W. vor allem das Problem des niedrigen Bildungsgrades. So gründete er für die Kinder der Arbeiter Grundschulvereine und schuf ukrainische Sonntagsschulen und stellte ehemalige Lehrer, jetzt Emigranten, ein.
In Berlin unterstützte er auch Studenten und verschaffte ihnen Stipendien, damit aus der ukrainischen Bevölkerung neue Akademiker erwuchsen. Das alles bezahlte er aus Sonntagskollekten, die eigentlich für seinen eigenen Unterhalt bestimmt waren.
Wichtig war P. W. auch, dass die Berliner ukrainische Gemeinde nicht im Winkel lebt. So veranstaltete er schon 1929 anlässlich der Visitation des Metropoliten Dr. Graf Scheptizkij einen großen Festakt mit wissenschaftlicher Tagung, Konzert und Empfang der ukrainischen Gemeinde.
1937 war P. W. vom Papst Pius XI. zum Prälaten ernannt worden, auf Grund seiner pastoralen Arbeit in Großberlin. Damit wurde seine schwierige Arbeit in besonderer Weise gewürdigt.
Wissenschaftliche Arbeit und geistlicher Auftrag
Neben seiner pastoralen Arbeit bekleidete er die Funktion eines wissenschaftlichen Assistenten am Ukrainischen Wissenschaftlichen Institut Berlin. Er bereiste zahlreiche katholische Bildungseinrichtungen quer durch Deutschland. Er hielt Vorlesungen zur Ostkirchenkunde an mehreren Priesterseminaren und Theologischen Fakultäten und veröffentlichte Studien und Aufsätze zur Kirchengeschichte der Ukraine. 1939 erschien „Der christliche Osten, Geist und Gestalt“. Darin finden sich verschiedene Aufsätze, die sein Verständnis von Ökumene wiedergeben. U. a. heißt es darin:
„In der morgen- und abendländischen Kirche sind verschiedene Riten, die wir bereits kennengelernt haben, vorhanden. Jeder Ritus ist mit Märtyrerblut besiegelt und eben im Martyrium liegt die Größe der beiden Kirchen und folglich die Heiligkeit der Riten. Deswegen müssen wir jedem Ritus mit heiliger Ehrfurcht begegnen.“ (Tyciak, 367)
Dr. Werhuhn sah wie schwierig es war, die geistliche Verbindung zwischen Ost und West aufzurichten. Er spricht von Unionsarbeit und weist daraufhin, dass dieses Unionswerk im Herzen beginnen muss und erlitten werden muss als Liebe zu Gott und zu seiner einen heiligen Kirche (Una Sancta) „ ehe sie in der Sphäre des offiziell kirchlichen Raumes sich auswirken soll“ (Tyciak, 334)
Dabei stellt ja auch die Liturgie der unierten Ukrainer, zu denen er gehörte, einen Schlüssel dar, denn darin kommt es ja zur Annäherung zwischen der lateinischen katholischen Tradition und der orthodoxen. Die Liturgie ist verankert in der ostkirchlichen Frömmigkeit mit ihren Ikonen, Gesängen und Gebeten. Aber diese Liturgie wird praktiziert von Katholiken, die Rom unterstellt sind.
Und weil P. W. in dieser Liturgie eine Brückenbauerfunktion sah, wollte er auch selbst als Glied dieser Kirche so ein Brückenbauer sein. Und in diese Vermittlerrolle wollte auch er gern seine Berliner Katholiken mit hineinnehmen, dass sie mit verbindend wirkten zwischen den unterschiedlichen Gruppen.
Die Bedeutung der Abtei Niederaltaich
Mehrfach besuchte P. W. die Benediktinerabtei Niederaltaich im Bistum Passau. Diesem Kloster war von Papst Pius XI. übertragen worden, die Kontakte zur Unierten und zur Orthodoxen Kirche zu pflegen und auszubauen. P.W. sah hierin das Begegnungszentrum, dass seine ökumenische Arbeit in Deutschland fördern kann. Außerdem fühlte er sich durch den Geist des Heiligen Benedikt persönlich stark angesprochen. So legte er 1938 die Gelübde als Oblate des Benediktinerordens ab in die Hände von Prior Emmanuel Maria (Josef) Heufelder, des späteren Abtes. Er nahm den Namen Pachomius an, der im 4. Jhd. das erste christliche Kloster gegründet hatte. P. W. hatte den Wunsch, seine Berliner Arbeit vom Kloster aus im Alter fortsetzen zu können.
Für sein riesiges Pfarrgebiet hatte P. W. nie genug Priester, daher versuchte er auch immer wieder, neue Priester zur Mitarbeit zu gewinnen. Sie sollten die ukrainische Sprache sprechen können und die Erlaubnis erhalten, auch in dem östlichen Ritus die Eucharistie zu feiern. Dazu dienten auch durch ihn gestaltete Ostkirchentage im Kloster Niederaltaich mit Vorträgen, Gesprächen und der Feier der ostkirchlichen ukrainischen Liturgie, die bei katholischen Priestern Interesse wecken sollten.
Berlin: Gemeindearbeit unter NS-Zeit
Die Zahl der katholischen Ukrainer war seit 1933 von 6000 auf 8000 gewachsen. Doch seit dem Überfall auf Polen und dem Einmarsch der Roten Armee in das polnischen Galizien stieg die Zahl der nach Deutschland strömenden Ukrainer auf 800 000. Darauf hin wurde P. W. zum Apostolischen Visitator mit den Rechten des Administrators für die ukrainischen Katholiken des byzantinischen Ritus im Großdeutschen Reich am 23.04.1940 von Papst Pius XII. ernannt.
Sein Pfarrgebiet erstreckte sich über mehrere Bistümer, d. h. neben Berlin gehörte dazu Hamburg, Bremen, das Ruhrgebiet, Ostpreußen und Danzig.
Das Engagement Werhuhns war den Nazis schon länger ein Dorn im Auge. Nur durch die Intervention des päpstlichen Nuntius konnte 1939 seine Ausweisung verhindert werden. Aber danach nahmen die Schikanen durch die Nazis beständig zu. Jeweils zwei Wochen vorher mussten die Gottesdienste bei der Gestapo angemeldet werden. Ukrainische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene waren nicht zugelassen. Es gab allerdings wenige bestimmte Gottesdienste auch für sie. Die Predigten und Liturgie durften für sie nur auf Deutsch gehalten werden und mussten vorher vorliegen, Abweichungen waren nicht gestattet. Seit 1942 galt das für alle Predigten. Die 25 Priester, die W. P. unterstützten, wurden verhört und bedroht. Etwa die Hälfte der Priester waren seit 1943 im KZ Oranienburg inhaftiert.
Trotz der schwierigen Situation wurde die soziale Arbeit nicht vergessen. Sie gehörte zum kirchlichen Leben wie die Liturgie. So wurden Lebensmittelrationen auch an Zwangsarbeiter und „Ostarbeiter“, die sehr schlecht verpflegt wurden, abgegeben.
Berlin: Verhaftung und Straflager
Auf Grund des Vorrückens der Sowjetarmee bangten in den letzten Kriegsmonaten viele Ukrainer um ihre Sicherheit. Als die Rotarmisten in Berlin eindrangen, flohen die meisten Ukrainer und fast alle katholischen Ukrainer. Sie flohen vor den sogenannten sowjetischen Repatriierungskommissionen, die alle Sowjetangehörigen festnahmen und keine Rücksicht darauf nahmen, dass es sich oft um Staatsangehörige anderer Staaten handelte, z. B. Polen, Rumänen, Tschechen.
Nach dem Zusammenbruch wurde P. W. von den Sowjets am 22.8.1945 in Berlin-Treptow verhaftet und das, wie sich erst im Nachgang heraus stellte, wegen angeblicher “Kollaboration mit dem Feind“. Gleichzeitig sollte damit auch seine ukrainisch unierte Kirche liquidiert werden. Durch Gottes Gnade konnte diese Kirche trotz hoher Verluste im Geheimen überleben und trat nach der Wende neu gestärkt hervor.
Nach seiner Verhaftung durch die Sowjets konnte man jahrelang nichts über P. W. erfahren. Alle Nachforschungen der Kirche und Verhandlungen mit der Sowjetischen Militäradministration blieben ohne Erfolg. Erst 1956 gelang P. W. selbst der Kontakt mit der Benediktinerabtei Niederaltaich. Er hoffte noch auf eine Ausreisegenehmigung nach Österreich, um seine Mönchsgelübde von 1938 zu erfüllen. Das wurde ihm durch die sowjetischen Behörden versagt. Nach seiner Gefangennahme arbeitete er viele Jahre im Straflager Tajschat am Baikalsee. Dann war er umgesiedelt worden ins Arbeitslager nach Angarsk. In der letzten Zeit lebte er allein und schrieb:„Meine Freude ist diese, dass ich täglich ungestört beten kann“ (Nachruf Heufelder). Am 7.02.1957 starb er völlig entkräftet im Krankenhaus des Arbeitslagers Angarsk bei Krasnojarsk und wurde dort bestattet. 2001 besuchte der polnische Pontifex Johannes Paul der II. die Ukraine, würdigte den Dienst von W. P. und anderer treuer Diener Jesu Christi und sprach ihn selig.